AMEA oder Heilung offenbart sich

 

- Ein Interview mit Andreas Krüger -

 

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Wer deine therapeutische Arbeit als Aufsteller mit Aufmerksamkeit verfolgt, stellt fest, dass homöopathische Mittel schon immer ein Strukturelement der Ikone darstellten und sich so in diesem von dir entwickelten Format seit jeher Stellungsarbeit und Prozessorientierte Homöopathie berührten?

 

Ja, die Ikone der Seele ist eine lösungsfokussierte Form der Aufstellung, deren zentraler Bestandteil das Wunder des Patienten ist, gewissermaßen die Essenz des geheilten Zustandes, die in einem Stellvertreter buchstäblich Gestalt annimmt. Der Stellvertreter des Klienten geht am Ende der Aufstellung auf das Wunder zu, wobei neben der Zielannäherungslinie zu beiden Seiten homöopathische Mittel aufgestellt werden, die zum Geschehen der bisherigen Aufstellung passen. Glaubt der Stellvertreter nun, eines dieser Mittel zu benötigen, um zum Wunder zu gelangen, nimmt er es an die Hand und schreitet mit ihm gemeinsam zum Ziel. Besonders wirksam ist diese Form der Mittelwahl, weil die Namen der Mittel dem Stellvertreter nicht genannt werden, und er sich so einzig auf die repräsentierende Wahrnehmung, also auf sein Gefühl, verlassen muss. Die dem Heilungsprozess entsprechende Potenz wird auf die gleiche intuitive Weise durch das Wunder ermittelt. Zudem arbeite ich in der Ikone auch mit der konkreten Mittelgabe für einen bestimmten Repräsentanten zur Unterstützung der Prozessarbeit. Wenn ein sehr schweres Schicksal vorliegt, oder in dem System ein schreckliches Ereignis ausgeblendet wird, oder sich eine lösungsverhindernde Haltung über Generationen verfestigt hat, verabreiche ich auch ein Mittel für das gesamte Feld.

 

Im letzten Jahr hast du außerdem die komplexe homöopathische Theorie des Miasmas für die Aufstellungen fruchtbar zu machen versucht. Was hat dich dazu bewogen?

 

Eigentlich meine Jahre sowie meine aufrichtige Bewunderung für die Arbeit von Peter Ginow, auf dessen miasmatischer Forschung meine eigene experimentelle Beschäftigung mit dem Miasma beruht. Ich glaube, dass der Homöopath - wie Samuel Hahnemann selbst - ein gewisses Alter erreicht und sehr viel Erfahrung gesammelt haben muss, ehe er sich den Miasmen zuwenden sollte.

 

 

 

Nicht umsonst stellt die Miasmentheorie das Spätwerk Hahnemanns dar. Ich habe mich plötzlich einfach reif dafür gefühlt und in meinen Aufstellungen versucht  auf experimentelle Weise die komplexen Einsichten Hahnemanns zur schicksalhaften Krankheitsdisposition - und damit einen wohlgehüteten homöopathischen Schatz - der bislang nur Experten zugänglich war, auf einfache Weise für Aufsteller verfügbar zu machen.

 

Die schicksalhafte Krankheitsdisposition ist ein integraler Bestandteil des Arzneimittelbildes.  Demnach hat dich das Schicksal - das Miasma - zur Arzneimittelentwicklungsaufstellung geführt oder war es nur der Zufall?

 

Dem Anschein nach eher der Zufall. Eines Abends - die anstehenden Ikonen waren gestellt - war noch etwas Zeit übrig und ich hatte den Impuls ein an diesem Tag im Unterricht durchgenommenes Mittel aufstellungsmäßig zu bearbeiten. Ich stellte einige Leitsymptome des Mittels auf  und gab - damals noch durch Zurufen - die einzelnen Potenzen ins Feld der Symptome. Wir waren alle zutiefst beeindruckt, wie mit einem Male der Prozess der Heilung bildhaft wurde. Das war die Geburtsstunde der AMEA. Seitdem sind wir dabei immer mehr Arzneimittel mit dem Medium der AMEA zu erforschen und eine kleine Arzneimittellehre aufgestellter erlebbarer Homöopathie zu schaffen.

 

Eine systemische Materia medica? Das wäre unglaublich interessant, aber magst du unseren Lesern vorher noch einmal genau erklären, was eine Arzneimittelentwicklungsaufstellung (AMEA) ist oder was du darunter verstehst? Stellt die AMEA ein vollkommen neues Format dar?

 

Ja, was aber nicht heißt, dass noch niemand Arzneimittel, sprich ihre Symptome, aufgestellt hat. Diese Idee hatten schon viele Aufsteller und Homöopathen vor mir, allen voran mein lieber und hochverehrter Kollege Friedrich Wiest aus München, der schon vor vielen Jahren Arzneimittelbilder aufstellerisch erfahrbar machte, damals in enger Zusammenarbeit mit dem Mann, dem ich aufstellerisch eigentlich alles verdanke, Matthias Varga von Kibéd.

 

Eine AMEA ist der Versuch in relativ kurzer Zeit - etwa zwei Stunden - die Dynamik eines Arzneimittels, sprich den Weg einer Heilung, eines Heilwerdens, mit den Mitteln der Aufstellung aufzuzeigen. Man wählt hierzu - vorausgesetzt das Arzneimittel ist bekannt -  die Leitsymptome eines Mittels zum Beispiel aus dem Morrison, eine Arzneimittellehre, die sich hierfür besonders eignet, weil sie zuverlässige Leitsymptome mit einem Punkt kennzeichnet. Diese Symptome werden dann von einem Mitglied des Aufstellerteams, das zu dem Heilmittel eine besonders enge Beziehung hat, aufgestellt. In diesem Kontext wähle ich in der Regel jemanden aus, der das Mittel als Therapeut schon oft mit Erfolg verschrieben oder es als Patient für seinen Prozess schon über längere Zeit eingenommen hat. Dann werden nacheinander homöopathische Potenzen des

Arzneimittels in das Feld geschickt. Ich suche etwa einen Stellvertreter für

Lycopodium C30 und dieser geht dann durch das Feld der aufgestellten

Symptome und berührt jedes Symptom mit den Worten „Ich bin Lycopodium C30.“ Die aufgestellten Leitsymptome des Mittels, in diesem Fall etwa die Rechtsseitigkeit, das Süßigkeitsverlangen oder die Impotenz spüren der Wirkung der Potenz nach und beginnen sich aus einem inneren Impuls heraus im Raum zu bewegen. Sie nehmen im Folgenden Veränderungen wahr, die im Vergleich zur ursprünglichen Problematik auftreten. Dann wird jedes einzelne Symptom vom Aufstellungsleiter befragt und versucht möglichst präzise die Qualität der Veränderung zu beschreiben oder stellt gegebenenfalls auch nur fest, dass die Potenz keine Veränderung bewirkt hat. Dieses Vorgehen wiederholt sich mit jedem Potenzschritt, für den man sich entscheidet. Die Sequenz der Potenzen reicht hierbei von einer C 30 über eine C 200, C 1000,

C 10.000, C 100.000 bis hin zu einer C 500.000 oder C 1.000.000. Zum Schluss entsteht fast immer ein Bild des geheilten Archetypus des Arzneimittels und man hat vor allen Dingen die Heilungsdynamik des aufgestellten Mittels lebendig und hautnah verstanden und erlebt. Man kann es nicht nur erfühlen, sondern es ist auch eine unwahrscheinlich anschauliche Art die Arzneimittel und Homöopathie zu begreifen und zu verstehen, nicht nur für die Stellvertreter sondern auch für die vermeintlich passiven Zuschauer, denn der ganze Raum scheint von der Energie des Mittels erfüllt.

 

Einen besonderen Aspekt der AMEA stellt hierbei noch ein gemeinsames Heilungsritual dar, das am Ende der Aufstellung durchgeführt wird und in dem sich jeder Aufstellungsteilnehmer in das Feld der geheilten  Symptome stellt, diese berühren kann und sich von ihnen segnen lassen darf.

 

Deinen Ausführungen habe ich entnommen, dass die AMEA aufgrund ihrer Anschaulichkeit ein sehr wirksames didaktisches Instrument ist. Ist sie aber auch eine therapeutische Intervention?

 

Zur Didaktik möchte ich noch Folgendes ergänzen: Es wird immer wieder selbst von den fleißigsten Homöopathieschülern berichtet, dass das Gefühl für ein Mittel durch eine AMEA in einer Tiefe erlebt wird, wie es bei keinem Studium der Fall ist oder bei einer Arzneimittelprüfung nur durch ein langfristiges Engagement überhaupt möglich wird. Vergleichbare Medien des lernenden Erlebens sind - bei allen bestehenden unbestreitbaren Differenzen - vielleicht am ehesten die Arzneimittelverreibungen, wie wir sie aus der C4 - Homöopathie kennen.

 

Die individual-therapeutische Intervention bleibt dagegen eher der Ikone vorbehalten, denn die individuelle Problematik ist für die Ikone konstitutiv. Man stellt das Anliegen, die Familie bzw. das Wunder des Patienten auf; maximal im Zuge einer Organisationsaufstellung eine Firma oder vielleicht ein Theaterstück.   Eine AMEA ist nicht weniger heilsam, aber wesentlich abstrakter: Sie macht das gemeinhin Unsichtbare, das Essenzielle, die Idee des Mittels sichtbar.

 

Da wir gerade von der Ikone sprechen, fördert die AMEA denn überhaupt Familienstrukturen zutage, die typisch für homöopathische Mittel sind?

 

Ja, sehr schnell sieht man in einer AMEA, wenn eine Störung der väterlichen Linie dominiert oder eine nicht vollzogene Ehrung des Mütterlichen vorliegt. Die AMEA zeigt auch die arzneimittelspezifischen Heilungswege auf, die bei Menschen, die unter einer entsprechenden Mittelproblematik leiden, beschritten werden müssen. Wenn also ein Klient meine Praxis betritt, der unter einem lycopodischen Vaterkonflikt leidet, kann ich die in der AMEA transparent gewordene Erfahrung des Urkonfliktes zwischen Vater und Sohn, wie er für dieses Mittel typisch sein kann, mir direkt zunutze machen - sowohl in der einzelikonographischen Arbeit als auch in der Ikonen-Aufstellung.

 

Jens Brambach und ich haben übrigens in unserer gemeinsamen Veröffentlichung über Prozessorientierte Homöopathie und Ikone der Seele bereits die Grundzüge einer kleinen systemisch-homöopathischen Materia medica dargelegt. Eine systematische Zuordnung ist also nicht nur möglich und durchführbar; sie birgt auch ein ungeheures Potenzial für die Homöopathie.

 

Wie wandeln sich denn die Leitsymptome einer homöopathischen Arznei in einer AMEA?

 

Die Symptome erfahren eine Transformation, in deren Verlauf sie immer mehr als Ressource erkennbar werden. Die AMEA ist der Königsweg zu erfahren, welche Ressource in einem Symptom, einer Krankheit, einem arzneilichen Archetypus verborgen liegt. Die AMEA lehrt uns aber auch, dass Krankheit vor allen Dingen eines ist: fehlgeleitete Energie. Jedes Krankheitssymptom ist ein abgespaltenes, mit negativem Vorzeichen versehenes Energiepotenzial, das nach einem Mittel ruft - um mit Hahnemann zu sprechen - welches eine ihrem Wesen nach energetische Transformation und damit Heilung bewirken kann. Hier erleben wir wirklich explizit, dass Homöopathie etwas völlig anderes ist als eine die Symptome unterdrückende und wegmachende Schulmedizin. Wir erleben in der AMEA die Anwendung der geistartigen Arznei als einen Weg der Wandlung vom Leid in die Ressource.

 

Nach deiner Lycopodium-Aufstellung habe ich persönlich erlebt, dass sogar gestandene Homöopathen vom Kaliber eines Hans-Jürgen Achtzehn staunend erklärten, sie hätten grundsätzliche Wesenszüge des Mittels erst durch diese AMEA wirklich begriffen. Was ist für das homöopathische Fachpublikum das Aufschlussreichste, der Brennpunkt des Interesses?

 

Die AMEA ist ein Medium, das in der Lage ist, Symptome in  Beziehung zu setzen. Eine Arzneimittellehre - wie ausgearbeitet sie auch sein mag - listet die Symptome lediglich auf und evaluiert, d.h. wertet Symptome anhand der Häufigkeit ihres Erscheinens. Im gestellten Feld dagegen erkennen wir sofort, welche Symptome zentral sind und die Wurzel der Problematik ausmachen, etwa daran, dass sich alle anderen Symptome um sie herum gruppieren. Es entstehen Konfigurationen, zum Beispiel Paarbildungen, die verdeutlichen, das bestimmte Symptome eine enge Relation aufweisen, die wir durch das Studium einer Arzneimittellehre nicht entdecken könnten. In meiner letzten Arzneimittelentwicklungsaufstellung von Hyoszyamus bildeten der für dieses Arzneimittel so typische Husten und die Eifersucht ein solches Paar. Aber auch im Hinblick auf Mittelgaben ist eine AMEA ein vielversprechender Fundus. Bei einem bestimmten Potenzschritt verließ der Husten einfach die Aufstellung.

 

Ja, aber wie repräsentativ sind die auf diesem Wege gewonnenen Erkenntnisse?

 

Das muss unsere Forschungsarbeit in den nächsten Jahren erweisen. Zu diesem Zweck werden die Aufstellungen sorgfältig protokolliert und dokumentiert. Das  so entstehende Archiv, in das sicher mehrere Aufstellungen zum gleichen Mittel einfließen, macht eine Sichtung und gegebenenfalls Veröffentlichung der Ergebnisse überhaupt erst möglich. Ich bin selber darauf sehr gespannt.

 

Ist die AMEA ein Quantensprung in der Homöopathie?

 

Du rühmst immer meinen Sinn für Ästhetik in der Aufstellung. Lass mich dir so antworten: Jede AMEA ist ein kleines Kunstwerk und Beuys hat einmal gesagt, „dass Kunst wie Sexualität ist. Es gibt keinen Fortschritt in ihr“ betont er. „Es gibt nur unterschiedliche Wege, sie auf die Beine zu stellen.“ Beuys hat Recht und auf die AMEA bezogen bedeutet das, sie ist nur eine Art unter vielen Homöopathie auf die Beine zu stellen.

 

Wie stark ist deiner Erfahrung nach die therapeutische Wirkung des erlösten Mittelbildes?

 

Meiner Erfahrung nach sind die Wirkungen im Hinblick auf Erleben und Heilwerden ganz ähnlich denen einer Mittelgabe. Ich wage aber an dieser Stelle  - allen Mut zusammen nehmend - etwas an- und auszusprechen und eine Vision zu benennen, die zurückzuführen ist auf einen Satz meines hochverehrten und geliebten Lehrers und Meisters Zalman Shalomi Schachter, der mir einmal folgenden Satz sagte: „Die Heilung der Welt muss eine alchemistische sein und die Homöopathie ist die Alchemie der heutigen Zeit.“ Das lässt in mir die Hoffnung erkeimen, dass eine AMEA sehr viel mehr sein könnte als ein prachtvolles didaktisches Medium oder eine kraftvolle individual-therapeutische Intervention. Eine AMEA ist immer auch Arbeit an dem morphogenetischen Feld unseres Planeten und seinen Krankheiten. Mit jeder AMEA heilen und lösen wir und stellen eine Ikone des Friedens in dieses Feld. Ich denke bei diesem Satz an einen Traum - geträumt in der Osternacht 2002 - wo mir eine enge Schülerin zum meinem 108. Geburtstag die Nachricht überbrachte, dass das Aufstellungsformat „Ikone der Seele“ inzwischen weltweit eine starke Verbreitung gefunden hätte und die heilende Kraft der gestellten Ikone so groß geworden wäre, dass an diesem 108. Geburtstag erstmalig auf der ganzen Welt Frieden herrschen würde. Man verzeihe mir meinen Größenwahn, aber ich muss gestehen, wenn es um den Weltfrieden geht, wandele ich gerne das Hahnemann´sche Wahrheits-und Weisheitswort „audere sapere“ („Wage weise zu sein“)  in „aude superbius esse. („Wage größenwahnsinnig zu sein“) um.

 

Gehört es nicht auch zu deinen Eigentümlichkeiten als Therapeut die Heilung in ein Bild zu bannen? Reizt dich die AMEA nicht auch, weil sie ein Arzneimittel-Bild ist?

 

Ich banne die Heilung in ein Bild. Das hast du schön gesagt. Sicherlich ich stelle eine Ikone als heilendes Bildnis in die Seele des Patienten, zumal in die  kranke oder auf Irrwegen befindliche.  Man könnte auch sagen, ich bebildere die Seele der Kranken. Das Bild ist sicher eines der wirkungsmächtigsten Heilungsinstrumentarien überhaupt. In der Tiefe der Seele entfaltet es eine unaufhaltsame, fast schon magische Wirkung.

 

Andreas, wenn man dich so hört, ist man bereit zu glauben, dass trotz Krieg und Hunger, trotz Elend und Not doch noch alles gut werden kann auf diesem Planeten.

 

Lasst uns daran glauben. Vor allen Dingen aber: lasst uns daran arbeiten !

 

Danke für dieses Gespräch.

 

 

Berlin, 12.02.2005

Interview und Dokumentation:

Nadia Salah